Kiez-Begegnungen und Fotografie als Wegbegleiter

mit Florian Reischauer

1000 Portraits, 12 Bezirke, 3 Bücher. Seit über 10 Jahren dokumentiert der österreichische Fotograf Florian Reischauer Berlins Stadtteile und Bewohner.

Entstanden ist das ikonische Fotoprojekt “Pieces of Berlin” als Vorwand, den eigenen "Kiez“ zu erkunden, sowie andere Ecken der Stadt kennenzulernen. In den Aufnahmen ist aber deutlich mehr als Florians Route zu erkennen. Damals wie heute, stehen die Menschen, die Florian auf den Straßen begegnen, im Mittelpunkt. Der 120 Mittleformatfilm bietet einen klaren Rahmen für diese Begegnungen und die Nebeneinanderstellung von Alltagskulissen lässt unterschiedliche Stimmungen, Lebenseinstellungen und Beziehungen zur Stadt zum Ausdruck kommen.

Wer heute in dieses lebende Archiv eintauchen möchte, kann Florians Blog besuchen oder durch eines der gleichnamigen Bücher blättern. Wir haben mit dem Fotograf über Berlins Verhältnis zu Authentizität und das Verhältnis von Authentizität zur Fotografie gesprochen, aber auch über Self- Publishing und Fotografie als Ausrede, um der eigenen "bubble" zu entkommen.

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“Als ich nach Berlin kam, 2007, hatte ich eine alte Agfa-Isolette Kamera, eine relativ kleine, handliche. Das war wie ein Wegbegleiter, als ich meinen neuen Lebensmittelpunkt erkundet habe.”

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Givn Berlin: Durch das Projekt “Pieces of Berlin", hast du über die Jahre knapp 1000 Menschen in unterschiedlichen Viertel Berlins porträtiert. Kannst du dich noch an das allererste Foto erinnern?

Florian: Ich kann mich sehr wohl an das erste Portrait erinnern. Es war damals der Fritz. Ich war bestimmt etwas aufgeregt, aber ich habe gleich gesehen, dass es funktioniert und dass die Leute mitmachen. So hat sich das ergeben. An dem ganzen Konzept hat sich tatsächlich bis heute nichts geändert. Das war immer das Gleiche: ich hab mir einen Kiez ausgesucht, vielleicht ein Kiez, in dem ich noch nie war oder schon lange nicht mehr, bin herum spaziert und habe die Leute, die mir über den Weg gelaufen sind, einfach angesprochen.

Givn Berlin: Wie bist du damals auf die Idee gekommen, eine Serie draus zu machen?

Florian:
Anfangs war das ein bisschen wie ein Tagebuch. Als ich nach Berlin kam, 2007 hatte ich eine alte Agfa-Isolette Kamera, eine relativ kleine, handliche. Das war wie ein Wegbegleiter, als ich meinen neuen Lebensmittelpunkt erkundet habe. Daraus hat sich die Idee entwickelt, die Fotos auf einem Blog zu sammeln.

“Wenn ich durch die Bilder gehe, dann wirkt es für mich so, wie wenn ich durch die Stadt gehe und das aufnehme, was ich sehe.”

Givn Berlin: Wenn es um Berlin geht, ist Authentizität ein häufig diskutiertes Thema. Dein Projekt zeigt Leute in ihrem Alltag und hat über diesen Weg viele Menschen berührt. Warum sind wir immer wieder von diesem Konzept fasziniert? Und was bedeutet Authentizität für dich?

Florian: Ich finde das sehr spannend im Kontext von Berlin, wo sich, wie wir wissen, alles so wahnsinnig schnell verändert. Bezogen auf das Projekt, würde ich schon sagen, dass man eine Art Authentizität drinnen wiederfindet, da die Geschichten und die Personen einfach aus dem Alter gegriffen werden und dabei nichts gekünstelt oder geplant ist. Das passiert ja auch alles in einem Zeitraum von Minuten. Beziehungsweise, das Foto mache ich immer ganz am Anfang, vor dem Gespräch. Da hat die Person kaum Zeit, sich irgendwelche Gedanken zu machen. Ich gucke kurz in die Kamera und das Foto ist erledigt. Ich mache immer nur eins pro Person. Und wenn ich durch die Bilder gehe, dann wirkt es für mich so, wie wenn ich durch die Stadt gehe und das aufnehme, was ich sehe. Ich glaube, dieses ungeschminkte, ungeplante macht das irgendwie schon möglich, so etwas wie Authentizität einzufangen.

Givn Berlin: Wie überträgst du diese Einstellung auf die Gespräche? Welche Rolle spielen deine eigenen Erfahrungen hier?

Florian: Ich versuche als Interviewer so neutral wie möglich zu sein. Der Ausgangspunkt sind immer die gleichen Fragen und das sind sehr sehr, sehr simple Fragen. Was magst du [am Kiez]? Was magst du nicht? Und so kommt man ins Gespräch. Die Gespräche entwickeln sich oft ganz unterschiedlich, aber sehr schnell kommt man zu einem Thema, das die Person am meisten tangiert. Es geht immer um die Beziehungen der Personen mit der Stadt.

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“Ich muss schon ein gewisses Feeling haben, obwohl ich überhaupt keine Berührungsängste habe, muss es mir gut gehen.”

Givn Berlin: Wenn du nicht im Kiez unterwegs bist, arbeitest du freiberuflich als Fotograf. Wie bringst du Pieces of Berlin mit Beruf, Familie und Freunden in Einklang?

Florian:
 Es ist auf jeden Fall ein Balanceakt. Das ist ganz klar. Und es ist schwierig, weil ich für das Projekt auch einen relativ freien Kopf brauche. Also, komplett auf Knopfdruck kann ich nicht loslaufen, mich sozusagen reinstürzen und auf die Leute einlassen. Ich muss schon ein gewisses Feeling haben. Obwohl ich überhaupt keine Berührungsängste habe, muss es mir gut gehen. Wenn ich selber in einer schlechten Verfassung bin oder so, dann macht es keinen Sinn und auch keinen Spaß.

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“Ich denke, sehr wichtig ist es auf jeden Fall, dass man ein gutes Team hat. Ich würde niemandem raten, ein Buch selbst zu gestalten.”

Givn Berlin: Was würdest du anderen Fotografen raten, die ein eigenes Projekt als Buch veröffentlichen möchten?

Florian:
 Man sammelt einfach Erfahrung mit jedem Schritt, den man macht. Und das erste Buch zu machen, war auf jeden Fall schwieriger oder komplexer, als jetzt das dritte Buch zu machen. Ich denke, sehr wichtig ist es auf jeden Fall, dass man ein gutes Team hat. Ich würde niemandem raten, ein Buch selbst zu gestalten. Da hatte ich vielleicht auch einfach Glück. Der Gestalter ist von Anfang an dabei. Das ist auch eine alte Freundschaft von mir und das war auf jeden Fall ein sehr wichtiges Puzzleteil. Das sind ein paar Erfahrungswerte, die ich herausziehen kann.

Givn Berlin: Wie sieht die Zukunft von unabhängigen Projekten wie Pieces of Berlin in Berlin aus? Hast du irgendwelche Hoffnungen?

Florian:
 Der finanzielle Druck ist über die Jahre immer stärker geworden. Der "Spielplatz" Berlin auf dem man sich versuchen und ausprobieren konnte ist auf Grund von fehlenden bezahlbaren Wohnraum und stagnierenden Einkommen Geschichte geworden. Daher ist leider die logische Schlussfolgerung, dass unkommerzielle Projekte extrem schwer zu realisieren sind. Dazu kommen noch die geplanten Kürzungen des Senats. Viel Hoffnung bleibt da leider nicht übrig. Dennoch bin ich von Berlins Widerspenstigkeit und rebellischen Geist überzeugt nicht auf zugeben.

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