Kreative Netzwerke und Digital Craft in Kreuzkölln

mit Afra Hackl von rahrah studios

Für Afra Hackl, Designerin und Gründerin des Schmucklabels rahrah, spielt sich der Alltag in einem kleinen Radius ab – alles im selben Viertel, Kreuzkölln. Wohnung, Kita, Spielplatz, kreatives Netzwerk, Co-Working-Space und Schmuckwerkstatt befinden sich in unmittelbarer Nähe zueinander und machen “spontane” Entscheidungen sowie eine leidenschaftliche Teilnahme am Umfeld möglich. Diese Größenordnung und Freiheit weiß Afra gerade als Mutter sehr zu schätzen. Als gebürtige Münchnerin weiß sie auch, dass Berlin nach wie vor als Ausnahme gilt. Mit großem Respekt für ihre Community feilt sie gemeinsam mit Partner und Kind jeden Tag an einem ausgewogenen, nachhaltigen Lebenskonzept.

Die Reise als Designerin begann während des Studiums in Bozen, als sie erstmals mit 3D-Druck in Kontakt kam. Diese Begegnung inspirierte sie dazu, mit modularem Design zu experimentieren, die Vor– und Nachteile von Technologie und Industrialisierung zu hinterfragen, und letztendlich einen Prozess zu entwickeln, der heute für ihre Unabhängigkeit von Produzenten und Lieferketten sorgt. Ganz im Sinne Berlins verbindet Afra diese Herangehensweise, die sie als “digital craft” bezeichnet, mit der Möglichkeit unmittelbar am Produkt zu arbeiten und eine persönliche Note einzubringen, die in der Massenproduktion oft verlorengeht.

Wir haben Afra im Velt Studio besucht, um mehr über ihren Werdegang zu erfahren. Von dort aus begleiteten wir sie auf ihrer täglichen Route und machten einen Spaziergang über die Hasenheide zum Lieblingsspot auf dem Tempelhofer Feld.

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Givn Berlin Afra Hackl Jacket Estrella Trousers Elena

Jacket ESTRELLA | Trousers ELENA

Ich dachte mir: "Okay, ich habe eigentlich alle Ressourcen. Ich habe einen Studioplatz. Lass mal probieren.”

Givn Berlin: Wie lange arbeitest Du schon hier im Velt Studio?

Afra: Ich bin schon richtig lange hier. Seit 2017. Das Schöne hier ist, dass es super durchmischt ist, also es gibt hier Leute, die “brainwork” machen, aber auch solche, die wirklich Sachen bauen, schneidern und so weiter. Das ist eine sehr, sehr große Bereicherung.

Givn Berlin: Was hat dich dazu bewegt mit modularem Design zu experimentieren und rahrah zu gründen?

Afra: Ich habe tatsächlich als Studentin damit angefangen, in Bozen. Dort bin ich zum ersten Mal mit 3D-Druck in Kontakt gekommen – wir hatten da richtig große Maschinen und 2012 kamen diese ersten Desktop-3D-Drucker raus. Mein Vater hat mir einfach einen geschenkt. Das war völlig überwältigend. Er hatte geerbt und hat mir zum Geburtstag einen hingestellt.

Kurz darauf habe ich eine Residency in Portugal gemacht und eine Kette aus Keramik modelliert. Die Porzellan Manufaktur dort wollte sie unbedingt verkaufen, aber die Herstellung wäre zu teuer geworden, wegen der Handarbeit. Der Prototyp allerdings war so überzeugend und bold. Und ich hatte schon zwei Drucker hier stehen. Ich hatte Material und dachte mir: “Okay, ich habe eigentlich alle Ressourcen. Ich habe einen Studioplatz. Lass mal probieren.”

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Pullover ARIA

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"Die Spontanität ist dann im Endeffekt das, was den Unterschied macht zum Massenproduktionsprozess."

Givn Berlin: Und wie können wir uns den Design- und Produktionsprozess vorstellen? Ist es wirklich eine One-Woman-show?

Afra: Ja, one-woman und 4 Roboter/Maschinen. das ist ein ganz anderes, abgefahrenes Gefühl, das ist fast wie Ernten. Man drückt eine Taste kommt drei, vier, sechs Stunden später wieder und hat eigentlich ein fertiges Produkt, was man nur noch zusammenstecken muss. Und das ist auf so eine absurdeArt und Weise spannend, weil es ja das Versprechen der Industrialisierung gewesen ist, dass wir alle irgendwie weniger arbeiten müssen und die Maschinen uns die Arbeit abnehmen. Aber Pustekuchen, die meisten Menschen fühlen sich heute ja eher von Maschinen bedroht in ihrer Profession. Für mich erfüllt sich das aber mit dieser Arbeitsweise gewisser maßen. Heute verbinden wir das direkt mit Massenproduktion, aber ich würde mich eher im Handwerk verorten und nenne das hier auch gerne “digital craft”. Auch allein die Zeit, die ich da brauche, eignet sich eben nicht für Massenproduktion, sondern eher besser für individualisierte Produkte.

Givn Berlin: Was verbindest Du mit diesem Begriff, “craft”, Handwerk?

Afra: “Craft” heißt ja nie, ich habe eine Idee, gebe sie an einem Marketingteam weiter, wo sie gefiltert wird und an eine große Produktion weitergeleitet wird, sondern “craft” heißt immer, die Künstlerin, der Künstler, hat die Hand am Produkt und kann unmittelbar eingreifen. Im Handwerk bleibt derProzess bei der Person oder bei den Schöpfern. Die Spontanität ist dann im Endeffekt das, was den Unterschied macht zum Massenproduktionsprozess.

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Top DOROTHY  | Hose CLAIRE

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"Und natürlich ist es ein Balanceakt zwischen: „Wie viel Sorgen muss ich mir machen, weil die Umsätze nicht in Millionenhöhe sind?“ und „Wie viel Gewinn habe ich davon an Lebensqualität?“

Givn Berlin: Wie bringst Du die vielen Aufgaben, die als Mutter anfallen, und die Arbeit als Designerin unter einen Hut?

Afra:
Ich gehöre zu den Glücklichen, die einen wirklich fifty-fifty involvierten Lebenspartner haben, was mir ganz viele Dinge ermöglicht und es mir auch einfach schon mit einem neun Monate alten Kind ermöglicht hat, zwei Tage die Woche wieder ins Studio zu gehen. Dabei bin ich auch sehr klar in meiner Entscheidung mit weniger Geld zu leben und dafür mehr Zeit mit dem Kind zu verbringen, aber auch das muss man können. Und natürlich ist es ein Balanceakt zwischen: „Wie viel Sorgen muss ich mir machen, weil die Umsätze nicht in Millionenhöhe sind?“ und „Wie viel Gewinn habe ich davon an Lebensqualität?“

Givn Berlin: Was würdest Du Künstlern in ähnlichen Situationen raten? Also Menschen, die ein eigenes Projekt ins Leben rufen wollen, aber auch eine Familie planen, oder schon eine Familie haben?


Afra: Das, was mich dazu gebracht hat, das zu tun, was ich tue, nämlich kreativ zu sein und Künstlerin zu sein, ist die Tatsache, dass ich in der ganzen Zeit meiner Schwangerschaft, während der Pandemie und der Geburt eines Kindes immer diesen Co-Working-Space behalten habe. Auch wenn ich nur einmal in der Woche dorthin gegangen bin, war es eine Rettung. Dieser Ort hat nicht nur geistig, sondern auch körperlich einen Raum für mich, mein Handwerk und meine Kunst dargestellt. Und es war ein riesiger Luxus. Ich meine, es ist nicht wahnsinnig teuer, es ist immer noch in Ordnung. Aber in Zeiten der Pandemie war es ein großer Teil des Geldes, und eine Abschaffung die wir besprochen haben.

Und gleichzeitig, hat dieser Ort es mir ermöglicht mit so vielen verschiedenen Lebensstilen in Kontakt zu bleiben. Und nicht die ganze Zeit mit anderen Eltern auf dem Spielplatz abzuhängen, sondern auch eine Verbindung zu Menschen zu pflegen, die 24 Jahre alt sind und viel feiern, oder zu Menschen über 40 aus der LGBTQI-Community, die etwas ganz anderes machen, keine Kinder planen und einen anderen Blick auf die Welt haben.

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Blouse PINA | Trousers FAY

"Ich glaube Erfolg ist, einfach leben können, ohne sich Sorgen zu machen."

Givn Berlin: Was ist das Wichtigste, was Du als Gründerin und Mutter von Berlin gelernt hast?

Afra:
Die Stadt Berlin ermöglicht durch ihre Struktur den Lebensstil, den ich vorhin angesprochen habe, Zeit für sein Kind zu haben und auch etwas zu unternehmen. Sowie die Möglichkeit, sich für ein Leben zu entscheiden, in dem man nicht viel Geld verdienen muss, um zu überleben. Denn wenn ich in meiner Heimatstadt München wäre, wären die Aussichten völlig anders.

Givn Berlin: Wie verstehst Du Erfolg in diesem Bezug und als Künstlerin? Und wie würde Deine eigene Definition lauten?

Afra:
Ich glaube Erfolg ist, einfach leben können, ohne sich Sorgen zu machen. Also Reichtum ist es, wenn man nicht jeden Monat darüber nachdenken muss, wie man gewisse Ausgaben deckt. Und für mich ganz persönlich, hat es etwas damit zu tun, in Bewegung zu bleiben. Also einfach, dass neue Dinge passieren, aber immer natürlich vorausgesetzt, dass diese Sicherheit da ist. Habe ich genug für meine Miete? Habe ich was zu essen? Kann ich es mir leisten, in den Urlaub gefahren?Wenn all diese Sachen da sind, hat man auch die Möglichkeit, neue Dinge zu entdecken. Ich glaube, das ist für mich ein Erfolgsszenario.

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